Etliche Mythen und Halbwahrheiten ranken sich um die Elektroautos. Neben der vermeintlich zu geringen Reichweite ist die Angst vor dem Blackout des Stromnetzes ein wahrer Klassiker. Demnach werden bald im gesamten Land die Lichter ausgehen, weil Millionen von Elektrofahrzeugen gleichzeitig an der Steckdose hängen. Die Folgen wären verheerend, argumentieren die Verfechter des Verbrennungsmotors und andere Experten aus dem Bereich der Verschwörungstheorien. Wie realistisch ist solch ein postapokalyptisches Szenario? Licht ins Dunkel bringt der nachfolgende Artikel.
Saft für 13 Millionen Elektroautos bereits 2019
Mit der Realität haben derartige Szenarien nur wenig zu tun. Vielmehr gehören sie in das Reich der Fiktion. Gegenüber dem Manager Magazin betonte ein Sprecher des Energieversorgers EnBW, dass der Strombedarf der Elektroautos keine Herausforderung sei. 1 Million Stromer entsprächen einem Mehrbedarf von lediglich 0,4 % an Elektrizität. Zum Vergleich: Zum Stichtag 1. Juli 2021 betrug die Anzahl der rein elektrisch betriebenen Pkw in Deutschland 439.000.
Um die Überraschung komplett zu machen, sei an dieser Stelle erwähnt, dass die oben genannte Aussage aus dem Jahr 2019 stammt. Vor zwei Jahren waren etwa 83.000 E-Autos auf Deutschlands Straßen unterwegs. Trotz des fulminanten Anstiegs der Neuzulassungen sind bisher keine Berichte über Zusammenbrüche vom Stromnetz bekannt. Daran wird sich vermutlich auch nichts ändern, da die Netzstruktur laut der EnBW bereits 2019 13 Millionen Elektroautos verkraftet hätte.
Ein Ladevorgang benötigt viel Energie
Fakt ist jedoch auch, dass das Aufladen der Batterien einen enormen energetischen Aufwand verursacht. Dies zu verleumden entspräche nicht den Tatsachen. Plastisch stellt sich der Sachverhalt folgendermaßen dar:
Siemens-Fachleute gehen davon aus, dass ein Auto an einer Schnellladestation innerhalb von 15 Minuten so viel Energie aufnimmt, wie nötig wäre, um 5000 Scheiben Brot zu rösten.
Komplikationen werden vor allem dort vermutet, wo unzählige Autos gleichzeitig das Stromnetz belasten. Würden von heute auf morgen Millionen von Fahrzeugen ausschließlich auf batteriebetriebene Antriebe setzen und gleichzeitig die Netzstruktur beanspruchen, würde diese ohne Frage zusammenbrechen. Exakt diese Argumentation postulieren die Kritiker der E-Mobilität. Wesentliche Aspekte werden dabei außer Acht gelassen.
Stromnetz – Intelligente Steuerung
Es ist schier unmöglich, den Fahrzeugbestand der Deutschen über Nacht auszutauschen. Dafür sind weder genug Kapazitäten seitens der Automobilhersteller vorhanden (Chipmangel, fehlende Werke etc.), noch verfügen die Zulassungsstellen über die entsprechende Anzahl Mitarbeiter. Die finanziellen Mittel, die für den Erwerb eines Elektroautos aufgebracht werden müssen und die fehlenden Ladesäulen wurden hierbei noch nicht einmal in die Überlegung miteinbezogen.
Trotzdem könnte es bereits jetzt in Ballungsräume zu Engpässen kommen, wenn nicht gegengesteuert wird. Nämlich genau dann, wenn sich örtlich begrenzt Schwerpunkte bilden und viele Fahrzeuge gleichzeitig den Ladevorgang beginnen. Dabei sind insbesondere die Abendstunden von besonderer Relevanz, weil zu dieser Zeit auch die Haushalte einen beträchtlichen Strombedarf haben.
Wird derselbe Netzabschnitt zu stark beansprucht und überschreitet das Stromnetz infolgedessen die Kapazitätsgrenze, schaltet es sich automatisch ab, so Eric Junge, stellvertretender Leiter des Projekts Netzintegration Elektromobilität bei der EnBW.
Um das zu verhindern, setzen die Netzbetreiber auf intelligente Diagnostik. Das Stromnetz wird umfassend überwacht. Dadurch sollen Hotspots frühzeitig identifiziert werden. Im Extremfall kann so schnell und effektiv reagiert werden.
Lastspitzen glätten beim Ladevorgang
Junge verwendet den Begriff der „Lastspitzenglättung“. Er impliziert damit die Verringerung der Ladeleistung des jeweiligen Elektroautos für einen begrenzten Zeitraum. Die Ladedauer würde sich dadurch verlängern. Es ist anzunehmen, dass die Kunden dies gar nicht bemerken, sondern am nächsten Morgen ihren Wagen normal nutzen können.
Auch die Politik hat die benannte Methode bereits zur Kenntnis genommen. Im Januar 2021 sorgten Medienberichte für Aufruhr, in denen die Rede davon war, Zwangsladepausen für Elektroautos einzuführen und so das Stromnetz zu entlasten. Das Wirtschaftsministerium unter der Führung von Peter Altmaier umschrieb den Begriff euphemistisch mit „Spitzenglättung“. Schnell wurde allerdings deutlich, dass es sich lediglich um einen Entwurf handelte.
Nüchtern betrachtet ist die Sache weniger erschreckend, als sie zunächst scheint. Aus wirtschaftlicher und nachhaltiger Sicht macht es schlicht keinen Sinn, das Stromnetz überzudimensionieren. Es ist nicht erforderlich, jede theoretisch mögliche Lastspitze abzudecken, wenn es auch anders geht. Ressourcen sollten intelligent genutzt werden. Wenn sich dadurch die Ladedauer der E-Autos in den Abendstunden beispielsweise um 2 Stunden verlängert, macht dies keinen bemerkenswerten Unterschied. Wer abends den Ladevorgang startet, benötigt sein Fahrzeug in der Regel erst am nächsten Morgen.
Droht dem Stromnetz das Aus?
Ein Blackout des Stromnetzes und daraus resultierende postapokalyptische Szenarien gibt es nur in Hollywood.
Die deutschen Netzbetreiber sind gut aufgestellt und arbeiten seit Jahren an Projekten, die den Strombedarf intelligent steuern und Lastspitzen ausgleichen. Darüber hinaus fördert exemplarisch die Bundesregierung massiv den Ausbau privater Ladestationen mit Steuerungsautomatik. Im Rahmen von Programmen der Kreditanstalt für Wiederaufbau wird vorausgesetzt, dass die Säulen mit anderen Komponenten des Netzes kommunizieren. Andernfalls wird keine Förderung erteilt.
Wenn schlagartig alle Deutschen auf Elektroautos umsteigen würden und das Netz auf den derzeitigen Stand bliebe, wäre die Netzstruktur überlastet. Dies wird jedoch nicht passieren, da die Bedingungen nicht gegeben sind und der Netzausbau forciert wird.